Die neue Zeit

FALTER-Kolumnist Harry Bergmann beklagt in seinem neuesten Text die Zustände in Österreich, aber auch in Israel, seiner zweiten Heimat. Er schreibt:

„Aber wo ist es besser? Bei den post-faschistischen Italienern? Nein. Bei den Oh-dear-Oh-dear Engländern, wo eine Liz Truss das Kunststück zu Wege gebracht hat, kürzer in Downing Street 10 zu residieren, als Schallenberg im Bundeskanzleramt? Nein. In den USA, wo eine Niederlage der Demokraten von den Demokraten als Triumph gefeiert wird, weil sie eine noch viel höhere Niederlage erwartet haben? Nein. Schreiben Sie mir doch, liebe Leserinnen und Leser, wo es besser ist.“

Darauf habe ich ihm geantwortet:

Lieber Harry Bergmann,

am besten ist es daheim. Willkommen im neuen Biedermeier, um es romantisch auszudrücken. Das Politische ist tot, in der Form, dass die Werte des „Westens“, das Mental-Rationale, das Analytische, das Individuelle, vorbei sind. Nun regieren die Werte des „Ostens“, das Emotional-Instinktive, das Synthetische, das Kollektive. Das helle Yang schwingt zu einem dunklen Yin.

Laut dem Kalendersystem der Maya, der mittelamerikanischen „Ureinwohner“, erfolgt dieser Pendelschlag rund alle vierhundert Jahre. Seit ich das weiß, habe ich mich darauf eingestellt und genieße diese Zeit nach meinen besten Möglichkeiten. Wir sind Ameisen im Universum, und derzeit wird unser Ameisenhaufen von links nach rechts durchgepflügt, um es metaphorisch auszudrücken. Das heißt, unsere Generationen werden jetzt gehörig durcheinander gebeutelt. Das ist ungewohnt und tut weh. „Jede Veränderung geht durch ein Tal der Tränen“, habe ich zum zehnjährigen Regierungsjubiläum von Margaret Thatcher in der „Zeit“ gelesen. Wenn Sie nachrechnen, dann werden Sie wissen, wie lange das her ist. Nur weil er so schön ist, habe ich ihn mir seit damals gemerkt, diesen Satz.

Jeden Tag wird es in der Früh hell und am Abend dunkel. Laut Kalender der Maya wird es jetzt für vierhundert Jahre dunkel. Der Übergang dazu, diese Abenddämmerung, diese Dämmerung des Abendlandes, dauert circa zwanzig Jahre, von 2012 christlicher Zeitrechnung bis 2032. Das heißt, jetzt, 2022, sind wir mitten drinnen im Umbruch. Was nun folgt, ist ein neues Mittelalter, das wir in den letzten hellen vier Jahrhunderten bezeichnenderweise „the dark ages“ genannt haben.

Es ist nirgendwo besser als hier. Stellen Sie sich darauf ein. Nehmen Sie sich ein Buch mit in den Abend, suchen Sie sich einen ruhigen Platz, machen Sie sich ein kleines Licht und genießen Sie den Tagesausklang, diesen Übergang zur Dunkelheit. Die Dunkelheit ist ja nicht an sich schlecht, sie ist nur anders. Dunkel eben, und auch kalt. Darauf gilt es, sich einzustellen.

Rilkes „Herbsttag“ kommt mir in den Sinn. Es wird Winter. Und, als kleiner Trost für die nächsten vierhundert Jahre: Diese Zukunft des schwarzen Yin ist auch weiblich. Und in der Mitte hat sie einen kleinen weißen Punkt.

Alles Liebe 

Peter Wurm

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